"Ein Traum"

Journalisten in Düsseldorf berichteten zahlreich in ihren Medien. Aber es gab auch einen Journalisten, der zusätzlich exclusiv für die Judoka einen interessanten, charmant und witzig geschriebenen Beitrag verfasst hat. Hier Peter Zarths Sicht auf den Grand Prix

Abbildung "Ein Traum"Foto: Gregor C. Wolf

„Ein Traum“

Impressionen vom ersten Judo Grand Prix in Düsseldorf 2010

                                                   Von Peter Zarth 

Um 12.44 Uhr zieht die ungarische Kampfrichterin ihren Lippenstift nach. Sie steht im Infield. Ein Bein nach hinten gewinkelt, schwarzes Haar fällt um ihre Schultern. Ihr Blick geht zu Matte 2. Dort hat ihr Landsmann noch Zeit, einen Rückstand wettzumachen. Die rote Digitalanzeige steht bei 2:07. Im Judo ist das viel. Sehr viel. Wenn diese Kampfrichterin selbst auf der Matte Entscheidungen zu treffen hat - natürlich sind dann keine Ungarn auf dem Gelbblau - strahlt sie dieselbe Ruhe, Gelassenheit und volle Konzentration aus. Selbst dann, wenn sie schnell ihren Stuhl als Seitenrichterin vor kämpfenden Judoka zurückziehen muss.

Im Getöse liegt auch Kraft

Ruhe, Gelassenheit, Konzentration. Aber auch Anspannung, Freude, Tränen, Lärm bis zum Tosen: Der erste Judo Grand Prix in Düsseldorf bringt viele Gefühle hervor. Und große Kämpfe. Sogar Momente der Erhabenheit. Judo ist ein sanfter Weg. Nur sieht man ihm das nicht immer an. Während der Ungar verliert, gewinnen hier alle. Sogar Journalisten und das Fernsehen, die beide hier wie immer merkwürdig deplatziert wirken. Hat jemand schon einmal einen Journalisten applaudieren sehen? Ganz anders die Fankurve. „Das war unglaublich cool, diese Unterstützung“, sagt Miryam. Sie gehört zur Nationalmannschaft. Jetzt steht sie mit einer Nationalmannschaftskollegin an der U-Bahnhaltestelle. Es ist bereits Abend. Alles ist vorbei. Miryam wirkt blutjung, gleichzeitig reif. Und sehr glücklich. Es sei zwar nicht so gut gelaufen. Aber diese Fans…

 

Ihr Blick geht nicht zurück. Sie ist gedanklich noch dort, auf der Matte. Bei den Fans. Zwei Tage wogte ein gelbschwarzes Meer aus T-Shirts hin und her, sang, klatschte, brachte den Karneval in die Fastenzeit, pfiff, buhte, regte sich selbst auf und die Halle und Kämpfer an. Junge, sehr junge Fans. Einer, Cedric, von der TG Lemgo, hatte mal ein rotes T-Shirt.
Nach anderthalb Tagen ist es schwarz gesprenkelt. „Heute habe ich schon zwei Autogramme. Der Rest ist von gestern.“ Cedric sitzt unter der Abtrassung und strahlt. Ob er dort überhaupt etwas von den Kämpfen sehen kann, weiß nur er. Seine Freude ist ruhig. Ein Judoka.

 

Fußball, Fouls und Pipi 

Lothar Matthäus könnte von ihm lernen. Sagt der Fußballer, meint aber alle Judoka. Meint das tatsächlich auch so. Und bekommt Pfiffe. An ihm sieht man, was Medien ausrichten können. Er hat Recht, wird aber bei den Siegerehrungen mit Buhrufen bedacht. Dabei kommt er bescheiden. Wie ein Schirmherr. Überreicht Preise. Setzt sich. Beobachtet. Wirkt ehrlich.


Lothar Matthäus, IJF-Präsident Marius Vizer und Peter Frese

Er habe eigentlich noch kaum Beziehung zum Judo, „außer meiner Freundschaft zum Präsidenten“. Der, Marius Vizer von der IJF, hat Matthäus nach Düsseldorf geholt. Die Medien werden später den Fußballer zitieren. Ein Belgier darunter. Der hat lange über Fußball und Radfahren geschrieben und das aufgegeben: zuviel Skandale und Doping. Deshalb nehme er Matthäus hier sehr ernst. Der weise nämlich auf die Fairness des Judo hin. Wo dürfe es denn schon so etwas geben, „taktische“ Fouls. Im Fußball. Beim Judo sei man da sofort draußen. Das sei Sport. Natürlich ist der Belgier auch durch und durch Journalist: Dass die letzte Dopingprobe nachts um Halbzwei abgenommen werden musste, nach zehnmaligem Versuch, ist ihm auch eine Meldung wert. Selbst Pipi muss hier die richtige „Konzentration“ haben…

Sport, das sind auch die Vorkämpfe. Und wie. Das Fernsehen fehlt. Und verpasst Grandioses. Allein ein Blick „backstage“ wäre schon eine Reportage. Hier bereiten sich die Judoka vor. Einer schläft. Viele sitzen am Boden. Es wird kaum gelacht. Randori hie und da. Körper klatschen aufeinander. Doch gleich könnte man auch gegeneinander antreten müssen. Hier wird einander geholfen. Vor den Matten Sneakers, Sneakers, Sneakers… Wer findet da noch seine wieder? Jung sind die Sportler fast alle. Wie Miryam von der U-Bahn. Judo und Leistungssport aber hat sie früh reifen lassen.

Sie kommen aus der Mongolei und Japan, aus Frankreich und Deutschland, Ägypten, Usbekistan oder den USA. Wer fragt schon nach Nationalität. Eine Sprache verstehen sie „backstage“ alle. Aber man braucht auch gelegentlich ´ne Cola, und überhaupt: „In Hamburg“ (beim letzten GrandPrix) sei „das Essen viel besser gewesen.“

 

Judo is not coming home 

Das müsste man mal Peter Frese sagen, dem Präsidenten des DJB. Abgewogen urteilt er über den neuen und den alten Standort des Grand Prix. Nein, dass Düsseldorf Europas Hauptstadt der Japaner sei, wisse er zwar, aber er sehe das nicht so, als komme Judo nach Hause. Beide Städte, auch München, hätten Vorzügliches. Er blickt kurz in die Halle, sinniert und spricht es aus, fast beiläufig: „Ein Traum ist das hier“. Frese weiß gar nicht, wie Recht er damit hat. Im Wortsinn. Wer die Augen schließt und nur zuhört findet sich gelegentlich wie an einem Strand. Ein Grundrauschen aus Gesprächen, von denen nichts mehr verstanden werden kann, liegt immer unter allem. Dieser Ton ist wie das Kommen und Gehen in und aus der Halle. Beides endet nie. Sogar bei den Hymnen haben manche keinen Anstand, laufen und reden weiter. 

Über diesem Grundton, der so ruhig ist wie die gesamte Veranstaltung, liegen kurze Schreie japanischer Kämpferinnen, liegt die klare Hallenansage, liegen erhabene Töne der Hymnen und liegt der schrecklich verbrauchte Vangelis-Kitsch, zu dem auch noch Cheergirls das zeigen müssen, was ihren Sport gerade nicht ausmacht: Beine, die nicht zu enden scheinen. Ein DJB-Funktionär, schon ergraut, erwischt einen Kollegen, wie dieser den Girls beim Aufwärmen vielleicht etwas zu lange und nicht in die Augen schaut. „Pass´ auf, dass Du nicht blind wirst…“ Denen wird es egal sein; sie kennen ihr hartes Training. Sie umrahmen die Siegerehrungen und Finalkämpfe. Manchmal geben ihre Bewegungen eine Art komplementärer Zeitlupe zu den Yukos, Waza-aris oder gar Ippons der Kämpfer ab. Eleganz, Schönheit und Glanz auf verschiedenen Ebenen: Die Halle verbindet auch dies an diesen beiden Tagen, ohne dass es ins Bewusstsein tritt.

 

Der Glanz der Hymne 

Sogar das Erhabene scheint auf, wenn auch nur ein Mal. Es ist Samstag, der erste Wettkampftag. Die erste Siegerehrung. Die erste Hymne. Das erste Mal, dass der Sprecher bittet, „zur Ehre der Nationalhymne“ nein, nicht aufzustehen: sich zu erheben. Alle tun das. Sogar die vom Fernsehen. Es wird ruhig. Eine ausverkaufte Halle, in der eben noch jeder für sich tat, was er wollte, wird für diesen Moment eins. Bei keiner Hymne danach wird das wieder so sein. Diese erste hätte, genau genommen, gereicht. Mit ihr wurden alle geehrt, Sportler, Nationen, Flaggen. Als die Fahnen am Hallendach angekommen sind, löst sich nicht etwa Anspannung. Im Applaus spürt wohl jeder nun Gemeinsamkeit. Wenn auch nur für diesen Augenblick. Später, die mongolische Flagge hängt durch, bei der deutschen Hymne wird gesungen, für Japan geht die Sonne am Sonntag unter dem Hallendach dauernd auf: Immer ist sie noch da, die erste Hymne. Sie verleiht Glanz.  

Glanz verleihen diesem Grand Prix auch Siege. Wohl nur eine Kämpferin schafft es, jeden Kampf mit „Ippon“ zu beenden. Glanz auch bei Niederlagen: „Der Weltmeister geht sehr fair vor“, sagt ein junger Judoka, der auch als Journalist im Infield beobachtet und schreibt. „Er verneigt sich nach dem Sieg nicht nur, er gibt dem Gegner auch die Hand.“ Nicht jeder tut dies, muss das tun. Nicht jeder kann mit Niederlagen so gut umgehen wie der Deutsche, der sich nicht nur bei der Fankurve bedankt, sich auch dort verneigt. Nein, er klatscht die Kids ab. Nach einer Niederlage! 

Dieser Grand Prix hat seinen Namen verdient. Wie bei vielen Sportveranstaltungen besteht die Wirklichkeit aber auch aus vertrocknenden Blümchen auf den Funktionärstischen, aus Uniformen, bei denen die Wappen größer als die Revers und die Farben aus den 60-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hinübergerettet worden sind. Aus Schildern, die nicht abgenommen wurden („Gehörschutz an der Kasse“) und aus Zitaten, die niemand erfinden könnte. „Die haben eine ritterliche Flagge“, sagt der junge Journalist und Judoka zur georgischen, und er kann sogar das begründen. Der Grand Prix hat die tönende Stimme eines algerischen Coachs, der seinen verlierenden Kämpfer nach dem Kampf nicht grüßt und die Ruhe der tiefen Verbeugungen aller Kampfrichter, die aus einem Zen-Kloster und aus sehr ferner Zeit in diese Halle gekommen zu sein scheinen. Wer aber einen Kaffee möchte, bekommt auch den. Im Infield umsonst, dank eines Teams zahlloser ehrenamtlicher Helfer in Gelb; außen vom Caterer Stockheim, und mit Frittenduft.  Überhaupt, was für eine gute Organisation. Dass sich aber gerade im Finale von Heide Wollert drei Funktionäre vor die Pressetribüne stellen müssen und die Sicht auf den entscheidenden Ippon verstellen, auch das gehört dazu.  

Der Grand Prix macht bei allem Positiven dennoch ein Minus, trotz Sponsoren. Schatzmeister Wolf-Dietrich Kurt vom DJB nennt die Zahl aus Hamburg. Düsseldorf werde kaum ins Plus kommen können. Judo sei eben eine Sportart, die nach wie vor nicht im Licht des TV stehe. Trotz eines Ole Bischof, möchte man sagen. Der Goldmedaillengewinner ist gekommen, kämpft aber nicht. „Ich habe am Freitag noch eine Klausur geschrieben“. Zu wenig Zeit für richtige Vorbereitung. Bischof aber tut ebenso Gutes, wenn nicht Besseres. Statt lange Interviews zu geben: zwei Fotos mit Girlies, die glücklich und unsicher zugleich sind, und zig Autogramme für coole Jungs, die plötzlich gar nicht mehr so cool sind. Nachwuchsförderung. 

Sogar Siegerehrungen fallen hier anders aus. Michaela Engelmeier-Heite überreicht mal Medaillen, mal Schecks. Und vom Sponsor eine Wasserfiltrieranlage. Der Algerier wird`s brauchen, die Fankurve tobt, und Engelmeier-Heite, die auch für die SPD im Oberbergischen kandidiert, nimmt es gelassen, charmant und voller Humor: „Die SPD ist manchmal wie Judo: Auch sanfte Wege können zum Sieg führen.“ In Japan hat sie Judointernate kennengelernt und Dojos. Wobei: Internat ist da nicht das treffende Wort. Wer ihr zuhört weiß aber hinterher, weshalb japanische Judoka in Düsseldorf so erfolgreich sind. Wer kann hier schon drei Mal am Tag trainieren? Miryam, die von der U-Bahn-Haltestelle, erhält 75 Euro von der Sporthilfe, pro Monat. Und sie freut sich sehr darüber.  

Finanzen hin, Geld her. Judo ist zunächst und hier vor allem Sport. Wenn auch nicht immer ein sanfter: „Ein Arzt zur Matte 3 bitte“, so schallt es nicht nur einmal an diesen Tagen in die Halle. Nasenbluten, neue Tapes, mehr ist es meist nicht. Warum neue Tapes, fragt ein Laie. „Die geben mehr Grip“; knapp die Antwort des jungen Journalisten. Um sich wieder der Ehrung zuzuwenden. Die Deutsche dort hat Tränen in den Augen. Zuvor gab es Schweiß, glücklicherweise bei ihr kein Blut. Und die Tränen kullern aus Freude. Goldmedaille für Frau Malzahn.

 

Schwarzrotgold, Weißblau und 60 Flaggen 

Ob die noch die Eröffnungsfeier in Erinnerung hat? Das ist wie eine olympische, aber im Miniformat, und Minis kommen auch in Unmassen durch das runde Tor der Bühne. 60 Flaggen tragen sie, von den teilnehmenden Nationen. Vielleicht sind es 344, so viele wie Teilnehmer an den Kämpfen. Jedenfalls hört das nicht auf. Doch: Jetzt kommt der Letzte, mit Schwarzrotgold. Er läuft an allen vorbei an die Spitze und verschwindet sofort aus der Halle. Lothar Matthäus muss also den Grand Prix eröffnen. Man hätte ihm das vielleicht ersparen können. Aber Düsseldorf ist eben auch Provinz. Der Fußballer indes nimmt vieles mit Humor. Was er denn für einen Judogürtel habe, will ein Journalist wissen. „Weißblau“, kommt es prompt. Und das von einem Franken!

 

Peter Zarth war zunächst Redakteur der FAZ. Er arbeitet seit langem in einer bedeutenden Forschungseinrichtung und als freier Journalist. Zarth ist Träger des 1. Kyu. (passiv)

Vielen Dank an Peter Zarth für diesen Beitrag, den er als Dankeschön für den DJB geschrieben hat

Fotos: Birgit Arendt, Adrian Kulisch vor Fanblock - Nick Cariss

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